Anlässlich der zweiten Debatte zum Thema Zukünftige Wohnformen: Möglichkeiten und Grenzen von neuen Wohntypologien wurde weniger über die Wohnungen selbst diskutiert als über den zentralen Begriff des erweiterten Wohnraums. Es sei dann spannend, wenn man nicht nur über die eigenen Wohnräume rede, sondern über das Ganze nachdenke, meinte die Genossenschaftsexpertin Claudia Thiessen. Bei konventionellen Wohnungen hingegen liege der Fokus auf der Wohnung selbst. Zudem verdeutlichen die Forderungen nach Grundrissen mit viel Fläche, hellen Räumen und wertigen Oberflächen, dass das Qualitätsverständnis ein anderes sei als bei gemeinschaftlichen Wohnungen, sagt Vinzenz Zedi, Leiter Immobilien-Transaktionen bei Die Mobiliar, deutet aber gleichzeitig an, dass hier Veränderungen im Gang seien.
Gerade von dieser Dualität konventionelles Wohnen – genossenschaftliches Wohnen müsse man wegkommen, denn die Grundbedürfnisse der Menschen seien wohl immer die gleichen, äusserte sich Jürg Sollberger, Präsident Wohnbaugenossenschaften Schweiz Regionalverband Bern-Solothurn. Der Ansatz der Durchmischung wird auch beim Projekt Viererfeld verfolgt, denn hier wird sogar darüber diskutiert, den Aussenraum gemeinsam zu nutzen und zu bewirtschaften.
Erzählungen aus der Praxis zeigen jedoch auch auf, dass man mit diesen kollektiv genutzten Räumen auch scheitern kann: Sie werden nicht genutzt oder verursachen Probleme zwischen den Nutzenden. Eine Aneignung durch die Bewohnenden ist unabdingbar. Und damit diese Aneignung passieren und gelingen kann, braucht es nebst funktionierenden Erschliessungsräumen einen Aneignungsprozess, bei dem verschiedene Mittel zum Einsatz kommen: Partizipation, Moderation, Anschluss an eine Genossenschaft und an gewissen, anonymeren Orten gar soziokulturelle Animation.
Ein funktionierendes Zusammenleben könne schlussendlich auch für den Mieterwechsel förderlich sein. Denn je mehr die Leute sich mit ihrem Wohnort identifizieren können, desto weniger Wechsel gäbe es. Und daher müsse es im Interesse aller sein, dass Nachbarschaft entsteht, ist Vincent Zedi überzeugt. Mehr Gemeinschaftlichkeit, mehr Mieterbindung – eine Win-Win-Situation. Aber auch das gemeinschaftliche Wohnen könne von den Akteuren des marktorientierten Wohnbaus profitieren: rationell Bauen oder effizient Bewirtschaften, meinte Jürg Sollberger.
Und in den marktorientierten Wohnungen täten die Verwaltungen gut daran, in den Räumen ausserhalb der Wohnungen, wie etwa in Treppenhäusern, mehr zuzulassen, und den Mut aufzubringen, etwas auszuprobieren, damit sich die Bewohnenden die Räume aneignen können.
Kollektive Räume als wichtiges Element der Gemeinschaftlichkeit und als gutes Experimentierfeld im Sinn von Möglichkeitsräumen, die vielleicht auch ein Scheitern zulassen, ohne dass zu viel kaputt geht.
Zur Publikation «Eine Geschichte des gemeinschaftlichen Wohnens»
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